Kasimir Malewitsch „Schwarzes Quadrat“ (Öl auf Leinwand, 1924, 79,5 cm x 79,5 cm, Russisches Staatsmuseum, Sankt Petersburg)
Kasimir Malewitsch „Schwarzes Quadrat“ (Öl auf Leinwand, 1924, 79,5 cm x 79,5 cm, Russisches Staatsmuseum, Sankt Petersburg)


Berlin – Mit dem Aufkommen der Bilderzeugung durch die sogenannte „Künstliche Intelligenz“ stellt sich die Frage nach dem Sinn und Unsinn sowie den Grenzen der Kunst erneut in einer gewissen Dringlichkeit, wie sie seit dem Siegeszug der gegenstandslosen Avantgarde leidenschaftlich diskutiert wurde.

 

Über Jahrhunderte, von der frühen Gotik bis zur frühen Moderne in Gestalt von Expressionismus und Fauvismus, hatte die bildende Kunst in gewissem Maße die Funktion der Abbildung der realen Welt oder bezog sich zumindest auf diese.

 

Dabei waren die Ansätze denkbar verschieden und vielseitig. Künstler des Mittelalters etwa sind uns oft nicht namentlich bekannt, denn der Künstler verschwand hinter dem zumeist religiös motivierten Werk: Eine Tradition, welche in der Ikonenmalerei der orthodoxen Ostkirche bis heute ihre Fortsetzung findet.

 

In der Renaissance kam dann der Gedanke des großen Künstlers, des schöpferischen Individuums, auf. Albrecht Dürer, Jan van Eyck, Giovanni Bellini sind einige der Meister, die unsterblich geworden sind und auf ihre je eigene Weise zu großen Neuerern wurden. Die individuellen Züge der Renaissance wurden später zur Manier gesteigert, es entstand der Manierismus.

 

Doch die manieristischen Übertreibungen, wie sie von El Greco oder Bronzino gepflegt wurden, mußten an ihre Grenzen stoßen: Der Barock von Caravaggio oder Rembrandt brachte ein betontes Zurück zur gediegenen Form, welche im Rokoko (Jean-Honoré Fragonard, Antoine Watteau) bald ins Spielerische abdriftete – was wiederum die Gegenbewegung des an der Renaissance orientierten formstrengen Klassizismus (etwa Jacques-Louis David, Anton Raphael Mengs) heraufbeschwor.

 

Die Romantik (wie von Caspar David Friedrich oder William Turner) legte ihren Schwerpunkt auf die Welt hinter der sichtbaren Welt, welche in mystischen Andeutungen zum Ausdruck kommen sollte. Der Raum war mit einem Mehr an Bedeutung geladen.

 

Auch dieser Ansatz fand seine Grenze; Realismus und Naturalismus (Adolph von Menzel, die Schule von Barbizon) wollten entsprechend das darstellen, was innerhalb der materiellen Welt erfahrbar war: Der Fokus lag auf dem Sehen. Dies führte in seiner Konsequenz zu einem weiteren Erkunden einer neuen Art des Sehens: Für den Impressionismus von Claude Monet, Camille Pissarro usw. war die Art, wie der Gegenstand unter bestimmten Lichtverhältnissen erschien, wichtiger als der Gegenstand selbst. Insbesondere das Spätwerk Monets zeigt bereits einen sehr hohen Grad der Auflösung von Gegenständlichkeit im Spiel des Lichtes.

 

Sie ahnen bereits: Auch dieses Prinzip stieß an seine Grenzen. Die Expressionisten und Fauvisten (Franz Marc, Maurice Vlaminck, Emil Nolde, ...) ersetzten die Wahrnehmung des Gegenstandes im Licht durch die individuelle Wahrnehmung des Gegenstandes durch die Persönlichkeit des Künstlers: In dieser Hinsicht eine Neubelebung des Manierismus – besonders deutlich in den extrem gestreckten Figuren eines Amedeo Modigliani.

 

Der Kubismus (Pablo Picasso, Juan Gris) war im Grunde ein Intermezzo einer anderen Art von Formzerlegung, eher nüchtern, geradezu geometrisch orientiert. Nüchternheit prägte auch die aus dem Expressionismus als dessen Umkehrung hervorgegangene Neue Sachlichkeit (Alexander Kanoldt, Otto Dix, ...).

 

Und damit landen wir bei der Abstraktion. Diese ist ein äußerst vielseitiges und uneinheitliches Phänomen. Das Einzige, was alle Vertreter eint, ist die Abkehr vom Gegenstand. Dies kann durch eine Anknüpfung an Romantik und Zen-Malerei in der Suche nach geistigen Welten geschehen, wie bei Wassily Kandinsky und Hilma af Klint, in geometrischer Exaktheit (wie bei Piet Mondrian oder Josef Albers) oder dem auf persönlichen Ausdruck und rohe Energie festgelegten Abstrakten Expressionismus von Jackson Pollock, Lee Krasner usw.

 

Immer jedoch geht es darum, daß ein abstraktes Prinzip als wichtiger angesehen wird als die Abbildung der stofflichen (oder einer zumindest dieser ähnlichen) Welt. Dabei können faszinierende und meisterlich ausgeführte Werke entstehen, nur: All diese Prinzipien sind endlich.

 

Die Revolutionierung der Kunst als Grundprinzip ist nicht ewig fortführbar. Ein „Schwarzes Quadrat“ mag vielleicht noch durch die nur gedachten, doch nicht materiell ausgeführten Bilder gesteigert werden. Doch dann? Die Prinzipien der Auflösung führen letztlich ins Nichts, und weniger als Nichts ist nicht darstellbar. Ist es überhaupt wünschenswert? Was könnte uns dort erwarten? Was ist das Welt- und Menschenbild, welches hinter dem Gedanken der endlosen Revolutionierung steht?

 

Nachdem all diese Varianten der gegenstandslosen Avantgarde so weit durchgespielt worden sind, bis sie selbst zur bloßen Masche geworden waren, was gerade aufgrund der (nur oberflächlich gesehen paradoxen) Begrenztheit durch Formverzicht schneller geschehen mußte als bei allen gegenständlichen Richtungen, hatte die Avantgarde sich selbst ad absurdum geführt. Wohin sollte die „Avantgarde“ nun überhaupt noch fortschreiten können? Und ja, ein Widersinn, daß sie dennoch immer noch als „avantgardistisch“ bezeichnet wird.

 

Der Anspruch, avantgardistisch zu sein, wurde tatsächlich zum Gefängnis. Es ging nicht weiter. Künstler, die dies erkennen, ob bewußt oder rein instinktiv, sind nun tatsächlich frei: Die Kunstgeschichte mag an einem Ende angekommen sein, und klar benennbare Epochen wird es nicht mehr geben, doch sie bietet ein gewaltiges Repertoire an Stilmitteln, einschließlich jenen der Abstraktion, vielleicht nicht unendlich, aber doch gewaltig genug, zu groß, um je in einem einzelnen Künstlerleben erkundet zu werden. Und bei all dem findet sich immer noch genügend Spielraum für die persönliche Handschrift.

 

Doch nun, wo wir eine „gefangene Avantgarde“ einerseits haben und andererseits eine freie Künstlerschaft, die die Neuerung um ihrer Selbst willen von sich weist und sich unbekümmert aus dem riesigen Fundus der Kunstgeschichte bedient, tritt ein neues Phänomen auf, welches die Kunstwelt zu verwirren beginnt: Die sogenannte „künstliche Intelligenz“ wird scheinbar zum Schöpfer.

 

Doch tatsächlich ist dies eben ein Scheinproblem, ganz gleich, ob dies schnell allgemein erkannt wird, oder sich eine allgemeine Verwirrung ergibt, denn: Durch „künstliche Intelligenz“ (der Begriff ist im Grunde bereits irreführend) mögen beeindruckende und ästhetisch fesselnde Bildwelten entstehen, nur: Dahinter steht keine Seele, keine Persönlichkeit, kein schöpferischer Funke.

 

Alles, was diese Programme hervorbringen, sind Plagiate, Vorspiegelungen, Täuschungen. Schöpferisch mag die Entwicklung solcher Programme sein: Das Programm selbst ist es nicht. Jedes Strichmännchen, welches ein dreijähriges Kind mit dem Buntstift zeichnet, ist mehr Kunst als ein noch so komplexes Bild, welches eine „künstliche Intelligenz“ auswirft. Im Grunde gibt es also keinen Grund, sich verwirren zu lassen. Schauen wir, was geschehen wird ...

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