Andrej Swistunow „Drei auf dem Dach“ (Öl auf Leinwand, 2021, 50 cm x 100 cm)
Andrej Swistunow „Drei auf dem Dach“ (Öl auf Leinwand, 2021, 50 cm x 100 cm)


Berlin – Erst kürzlich berichteten wir über „Сommedia dell'arte“, die erste Ausstellung des russisch-israelischen Malers Andrej Swistunow in Berlin. Wir nehmen diese nun als Anlaß, vom Künstler selbst etwas mehr über sein Werden und Wirken zu erfahren. Das Interview führte Ruedi Strese. Et voilà!

 

ART-DEPESCHE: Herr Swistunow, Sie hatten Ihre künstlerische Ausbildung an der berühmten Akademie in Sankt Petersburg. Wie ist Ihnen die Zeit an der Universität in der Erinnerung geblieben?

 

SWISTUNOW: Die Akademie der Künste in St. Petersburg war schon immer (sowohl als ich dort studierte, als auch vielleicht sogar jetzt, wo sich die Zeiten längst geändert haben) ein erstaunlicher Ort, ein Zufluchtsort für die Idee der klassischen Kunst und der klassischen Bildung, an dem kluge junge und ehrwürdige Künstler eine überraschend vielfältige, farbenfrohe und humanistische Welt präsentierten, auf deren Titelblatt man getrost Raffaels unvergeßliche „Schule von Athen“ platzieren könnte. Viele meiner Mitschüler, damals noch junge Lehrer und Kommilitonen, sind mittlerweile zu berühmten Künstlern, Malern und Architekten geworden. Dies sind Nikolai Blochin, Yuri Kalyuta, Alexander Zimin und viele, viele andere, deren Gemälde sich heute in Privat- und Museumssammlungen auf der ganzen Welt befinden.

Es war eine konkurrenzlose Schule mit wahrhaft europäischem Ruhm und künstlerischer Kraft, und ich kann nicht umhin, stolz auf meine Teilhabe an dieser großartigen Schule zu sein.

 

ART-DEPESCHE: Neben der Ausbildung als Maler haben Sie auch einen Hintergrund als Architekt, was in Ihrer Arbeit kaum zu übersehen ist. Haben Sie auch praktisch als Architekt gearbeitet? Gibt es von A. Swistunow entworfene Gebäude, welche Sie den Menschen gerne zeigen würden?

 

SWISTUNOW: Ich habe 1997 mein Studium an der Fakultät für Architektur der Akademie der Künste in St. Petersburg abgeschlossen. Seither war ich nicht nur als Künstler, sondern auch als Architekt tätig. Das eine koexistierte kühn mit dem anderen. Und die handgefertigten Visualisierungen meiner Projekte wurden von meinen Kunden schon immer sehr geschätzt. Ich habe die Innenräume mehrerer Fünf-Sterne-Hotels, Clubs, Restaurants und Cafés in St. Petersburg und Moskau sowie einer großen Anzahl privater Apartments von Anfang bis Ende entworfen und ausgeführt. Besonders stolz bin ich auf die Innenräume der Hotelkette Talion.

 

ART-DEPESCHE: Sie stellen derzeit in der Galerie Ars Pro Dono in Berlin aus. War das Ihre erste Ausstellung in Deutschland? Wie waren bisher die Reaktionen des Publikums?

 

SWISTUNOW: Ja, das ist meine erste Ausstellung in Deutschland. So kam es, daß Ars Pro Dono nach meiner Ankunft in Deutschland, genauer gesagt in Berlin, der glückliche Ort war, an dem meine Bilder ihr neues Publikum finden konnten.

 

ART-DEPESCHE: Das Hauptwerk Ihrer aktuellen Ausstellung ist das riesige, neunteilige „Сommedia dell'arte“, eine Art leichter Architekturphantasie mit Theaterszenen … Was ist der Hintergrund dieses Gemäldes?

 

SWISTUNOW: Irgendwann, etwa zehn Jahre bevor ich „Commedia dell'arte“ schuf, kam ich auf die Handlung für eine kleine Grafik. Und wer hätte gedacht, daß es viele Jahre später der Ausgangspunkt für ein riesiges Polyptychon würde? Alle weiteren Skizzen für das Polyptychon entstanden auf der Grundlage dieses kleinen Bildes.

Die Idee einer Theaterkulisse, bei der die Architektur die eigentliche Kulisse darstellt, schwebte mir schon seit langem vor. Und da das Thema des Gemäldes eine Straßenaufführung mit typisch italienischem Flair war, eine reisende Truppe auf der Suche nach ihrem Publikum (vielleicht ein Hinweis auf das Schicksal des Künstlers, der in den letzten Jahren mehrere Orte gewechselt hat), bot die Leinwand genau die richtigen Bedingungen für die ausdrucksstarke Darstellung der Erfahrungen des Urhebers – zu einem vorgegebenen Thema.

 

ART-DEPESCHE: Wenn man Ihre Kunst betrachtet, scheint Ihr Geist auf Licht und Schönheit ausgerichtet zu sein …

 

SWISTUNOW: Schönheit ist Licht. Und Licht ist Schönheit. Und egal, wie sehr die moderne Kunst versucht, entweder aufgrund einer vorübergehenden Verfinsterung oder aufgrund der Vereinfachung und Vergröberung ihrer Träger das Gegenteil zu behaupten, niemals wird ein häßlicher Gedanke oder ein epatastisches Bild so nah und so mit dem menschlichen Geist verbunden sein wie Schönheit, gleich, wie verschieden dieses Wort für jeden klingt.

 

ART-DEPESCHE: Sie haben eine besondere Liebe zu Venedig …

 

SWISTUNOW: Venedig ist ein Ort auf dem Planeten Erde, den ich bereits viele Male besucht habe und den ich gerne noch unendlich oft besuchen würde. Es ist ein Ort der Kraft. Die Stadt, die Sie jünger, sensibler und subtiler und, ohne Angst vor diesem Wort, weiser macht, wenn Sie das alte Vaporetto betrachten, das auf der Oberfläche des Canal Grande, glatt und warm wie schmelzende Milch, in den Sonnenuntergang fährt, und am Steingeländer des Rialto hängen, um jemandem zuzuwinken, der in einem gemütlichen Café in der Nähe der Brücke am anderen Ufer sitzt. Für mich ist Venedig Marcel Proust mit seiner Kontinuität der Handlung und einer Abfolge von Details, die ineinander übergehen.

 

ART-DEPESCHE: … und die Renaissancearchitektur?

 

SWISTUNOW: Bramante, Brunelleschi, Michelangelo, Michelozzo – das sind nur einige der Namen der italienischen Renaissance und des Barock, bei deren Anblick wir uns die grandiosen Kolonnaden des Petersdoms in Rom vorstellen. Die Kuppel von Santa Maria del Fiore in Florenz und zahlreiche Villen in den Vororten von Venedig, die Pieta, der Palazzo Cancelleria … Es ist ein unvorstellbares Kaleidoskop aus Namen, Formen, schlanken, geordneten Konstruktionen, so menschengemäß, so nah und im Geiste so unerreichbar.

 

ART-DEPESCHE: Einige Ihrer Arbeiten zeigen die Stadt Karlsruhe. Was ist aus künstlerischer Sicht das Besondere an dieser Stadt?

 

SWISTUNOW: Karlsruhe ist die erste Stadt, die ich nach meinem langen Aufenthalt in Israel besucht habe. Vieles war hier miteinander verflochten … aber irgendwie fand ich mich für ein paar Wochen in dieser Stadt wieder, zusammen mit einem Reisetagebuch, einem Radiergummi, einem 8B-Bleistift und der Sehnsucht nach der europäischen Zivilisation …

 

ART-DEPESCHE: Und jetzt leben Sie in Berlin. Welche Orte in und um die Hauptstadt sind Ihre Favoriten?

 

SWISTUNOW: In Berlin zeichne ich jetzt viel, natürlich wahrscheinlich nicht genug, aber immer noch viel … Hauptsächlich grafische Arbeiten, neuerdings auch Illustrationen. Ein Lieblingsort, der zum Helden vieler meiner Arbeiten geworden ist, ist der Stadtteil Grunewald. Ich komme hierher wie in meine Werkstatt, hier ist alles nah, alles ist an seinem Platz, hier fällt mir nicht nur alles ins Auge, sondern formt sich auch sofort zu einer Vielzahl von Kompositionslinien und Handlungssträngen. Und noch etwas: Der Grunewald liebt Grafiken …

 

ART-DEPESCHE: Unsere Standardfrage: Wer sind Ihre Lieblingsmaler aus Geschichte und Gegenwart?

 

SWISTUNOW: Meine Lieblingskünstler sind John Sargent, Nikolai Feschin, Andrew Wyeth, Hieronymus Bosch und viele andere … Von den modernen würde ich Nikolai Blochin und Michail Filippow erwähnen.

 

ART-DEPESCHE: An welcher Art von Projekt(en) arbeiten Sie derzeit?

 

SWISTUNOW: Im Allgemeinen rede ich nicht gerne zuviel über Dinge, die noch nicht erledigt sind, aber hier können wir vielleicht eine Ausnahme machen. Dies ist ein grafischer Zyklus, der einen Titel hat: „Album – ‚Berlin‘“. Einige der Werke in diesem Album sind in der Ausstellung bei Ars Pro Dono zu sehen, andere wurden noch nicht ausgestellt. Aber wie dem auch sei – die Arbeit an diesem Album neigt sich dem Ende zu, und ich hoffe, es bald in seiner Gesamtheit zeigen zu können.

 

ART-DEPESCHE: Herr Swistunow, vielen Dank für Ihre Antworten, alles Gute!

 

 

Verweise:

https://art-depesche.info/sommedia-dellarte-andrej-swistunow-in-berlin

https://www.arsprodono.de/shop_content.php?coID=3210127

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