Berlin – Die auf Surrealismus und artverwandte Kunst spezialisierte Sammlung Scharf-Gerstenberg hat Neuzugänge zu verzeichnen, und zwar eine Schenkung von 30 Werken des Schweizer Surrealisten Max von Moos sowie Neuerwerbungen von Hannah Höch, der Zeichnerin Unica Zürn und der noch sehr gegenwärtigen Fatoş İrwen. Diese werden nun bis zum 29.10.2023 in Verbindung mit ausgewählten Stücken aus den Beständen in einer neuen Sonderausstellung gezeigt.
Der Ausstellungstitel „Der Geschöpfe sind viele ...“ geht auf „Der Geschöpfe sind viele zwischen Himmel und Erde“, eine Gouache von Hannah Höch aus dem Jahre 1930, zurück; thematisiert werden soll in der Schau das „Menschenbild des Surrealismus“.
Im gleichen Jahr der Entstehung dieser Gouache, 1930, schrieb André Breton, neben Louis Aragon der Cheftheoretiker des Surrealismus: „Die einfachste surrealistische Tat besteht darin, mit Revolvern in den Fäusten auf die Straße zu gehen und blindlings, solange man kann, in die Menge zu schießen.“ Ob wir also zur Erkundung dieses Menschenbildes die Sammlung Scharf-Gerstenberg besser nur mit kugelsicherer Weste betreten sollten? Versuchen wir es zunächst ohne solches Utensil.
Der erste Eindruck jedoch scheint die schlimmsten Befürchtungen zu bestätigen, denn gleich das erste Werk, direkt neben der Einführungstafel, ist eine Frottage Bretons. Schnell ducken, weiter – es bleibt die einzige Arbeit dieses Künstlers in der gesamten Ausstellung.
Weiter geht es mit der bereits erwähnten titelgebenden Gouache der Hannah Höch (1889-1978), welche eine Vielzahl von Mischwesen aus Land-, Flug- und Wassertieren und Menschen vereint. Auch von Höch bleibt es bei diesem einen recht sehenswerten Werk. Von Unica Zürn (1916-1970) sind einige Radierungen hinzugekommen, welche einer organischen bzw. ornamentalen Spielart des Surrealismus zuzurechnen sein mögen und leicht an balinesische Volkskunst erinnern.
Von der kurdischen Künstlerin Fatoş İrwen begegnet uns eine einminütige Video-Animation „Tigris“, welche auf einer durchaus am Surrealismus anknüpfenden farbigen Zeichnung aufzubauen scheint. Nicht uninteressant. Weniger interessant sind zwei Grafiken der gleichen Künstlerin, Falt-Klatschdrucke.
Anlaß zu Freudensprüngen sind allerdings die Arbeiten des Schweizers Max von Moos (1903–1979). Mehrere durchaus erstaunliche, dunkle und kraftvolle Gemälde sind dabei, außerdem eine ganze Reihe von Zeichnungen, die sich zwar ohne Weiteres innerhalb des Schemas des „klassischen“ Surrealismus bewegen, jedoch eine eigene, starke Handschrift erkennen lassen.
Auch ansonsten ist die Auswahl zu loben: Es gibt zwar keine spektakulären und auch keine unspektakulären Leihgaben, dafür hat man tief in den eigenen Beständen gegraben und neben bekannten Schlüsselwerken aus der Dauerausstellung vor allem etliche Zeichnungen ausgewählt, die sonst nicht gezeigt werden.
Da grüßen von den Wänden Odilon Redon, Salvador Dalí, Hans Bellmer, Jean Dubuffet, Paul Klee, Victor Brauner, Henri Laurens, Richard Oelze, Gerhard Altenbourg, Alberto Giacometti, Pablo Picasso, Henri Rousseau, René Magritte, Max Ernst, André Masson, Kurt Seligmann, Wolfgang Paalen, Óscar Domínguez, Willi Baumeister, André Thomkins und sogar Giuseppe Arcimboldo. Und das surrealistische Menschenbild? Manche der Figuren sehen aus, als wären sie gerade auf der Straße André Breton begegnet ... Nicht immer erbaulich, aber doch gekonnt.
Die Sammlung Scharf-Gerstenberg befindet sich in der Schloßstr. 70 in 14059 Berlin und hat von Dienstag bis Freitag 10–18 sowie am Sonnabend und Sonntag von 11–18 Uhr geöffnet; der Montag ist Schließtag. Der Eintritt kostet regulär 12,–, ermäßigt 6,– Euro; Kinder und Jugendliche bis 18 Jahren haben freien Eintritt.
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