Das Nationalmuseum der Schönen Künste Vietnams (Ausstellungsansicht)
Das Nationalmuseum der Schönen Künste Vietnams (Ausstellungsansicht)

Hanoi – Wenn wir Redakteure der ART-DEPESCHE auf Reisen sind, versuchen wir dabei für gewöhnlich, etwas für die Leser unserer Netzseite mitzubringen. Bei einer Reise nach Vietnam statteten wir folglich auch dem bedeutendsten Kunstmuseum des Landes, dem Nationalmuseum der Schönen Künste in Hanoi, einen Besuch ab.

 

In Landessprache nennt die Einrichtung sich „Viện Bảo tàng Mỹ thuật Việt Nam“; sie befindet sich im Westen der Hanoier Altstadt, in der Nähe des berühmten konfuzianischen Literaturtempels „Văn Miếu-Quốc Tử Giám“. Es ist das größte vietnamesische Kunstmuseum; das ähnlich angelegte Museum der Schönen Künste von Ho-Chi-Minh-Stadt (Saigon) ist deutlich kleiner.

 

Eröffnet wurde das Museum 1966 und befindet sich im Gebäude einer 1937 errichteten katholischen Mädchenpension; einem typischen Beispiel des in Vietnam verbreiteten französischen Kolonialbaustils, welcher zahlreiche ansehnliche Bauwerke hervorgebracht hat.

 

Beachtlich ist, daß für das Museum, welches auch als Nationalgalerie verstanden werden darf, auf ausländische Kunst vollkommen verzichtet wird, sämtliche Kunstwerke wurden von Künstlern Vietnams einschließlich seiner angestammten ethnischen Minderheiten geschaffen.

 

Dabei beginnt man im ersten Stock des Hauptgebäudes mit prähistorischen Funden sowie frühen und durchaus ansehnlichen Sandstein-Skulpturen der Funan-Kultur und des Cham-Reiches. Die Kunst der verschiedenen Herrscherhäuser ab dem 11. Jahrhundert, welche als eigentlich vietnamesisch bezeichnet werden können, ist zumeist buddhistisch geprägt.

 

Eine lackierte Holzskulptur des Bodhisattva Avalokisteshvara aus dem 16. Jahrhundert oder eine elegant geschnitzte Tür mit Drachenmotiven aus dem 17. Jahrhundert gehören dabei zu den unstrittigen Höhepunkten. Im Keller gibt es noch eine Auswahl von Keramik verschiedener Zeiten, welche wir jedoch verpaßt haben.

 

Das zweite Stockwerk schließlich zeigt die Art von Kunst, welcher sich unsere Seite vornehmlich widmet, nämlich Malerei und Grafik. Dabei werden in den ersten Räumen die Ursprünge der modernen vietnamesischen Malerei vor 1945 gezeigt, welche oft stark französisch geprägt sind – was kein Wunder ist, da eine ganze Reihe von Malern in Frankreich studierten. Dennoch gibt es ein klares Lokalkolorit.

 

Die Namen der meisten Künstler dürfte in Deutschland kaum jemand kennen, weshalb nur zwei frühe Ölgemälde stellvertretend für viele andere als Glanzlichter genannt seien, und zwar „Zwei junge Frauen und ein Kind“ (1944) von Tô Ngọc Vân sowie das zauberhafte „Die kleine Schwester Thúy“ (1943) von Trần Văn Cẩn.

 

Beide Bilder wurden als nationale Schätze eingestuft und verbinden französischen (Post)Impressionismus mit fernöstlicher Ästhetik – wobei nicht zu vergessen ist, daß französische Maler wie Monet oder Gauguin ihrerseits stark von japanischen Farbholzschnitten beeinflußt waren. Bei anderen Künstlern scheint der Fauvismus bzw. Expressionismus Pate gestanden zu haben; die Bilder von Tạ Ty wiederum folgen dem Kubismus Picassos und Braques.

 

Ein außerordentliches Meisterwerk stellt der vier Meter breite zweiseitige Standschirm mit dem Doppelbild „Landschaft / Mädchen im Garten“ von Nguyễn Gia Trí aus dem Jahr 1939 dar. Es handelt sich dabei um ein Paradebeispiel der genuin vietnamesischen Kunstform der Lackmalerei, wobei auch hier östliche und westliche Inspiration verschmelzen.

 

Diesem Metier der Lackmalerei widmen sich ansonsten gleich mehrere Räume, wobei der starke Glanz und die Einbindung von Perlmutt oder Gold für westliche Augen möglicherweise als etwas zuviel des Guten erscheinen, dennoch beeindrucken die stilistische Vielfalt und technische Meisterschaft.

 

Einige Räume befassen sich mit der Volkskunst des farbigen Druckes auf handgefertigtem Papier, zudem wird der Propagandakunst im Stile des sozialistischen Realismus, zumeist aus der Zeit von 1945 bis 1954, viel Platz eingeräumt. Dabei ist, trotz der typisch plakativen Herangehensweise, nicht alles schlecht.

 

Das dritte Stockwerk schließlich zeigt die Kunst Vietnams von 1954 bis heute, nach Medien geordnet. Es gibt Räume für Ölmalerei, Druckgraphik und Seidenmalerei. Auch letztere ist eine genuin vietnamesische Schöpfung, wobei hier in allen Räumen relativ viel sozialistischer Realismus dabei ist; die schöneren Werke sind tendeziell bereits im zweiten Stockwerk bei der frühen Malerei zu sehen.

 

In einem Seitenflügel gibt es zudem zwei Stockwerke, welche sich mit vietnamesischer Gegenwartsmalerei befassen, wobei von Surrealismus bis zu abstraktem Expressionismus stilistisch alles vertreten ist. Es sind sicher gute Arbeiten dabei, doch wenig, was nicht auch in jedem westlichen Land entstanden sein könnte. Dabei gibt es zahlreiche gegenwärtige Künstler Vietnams, welche völlig Eigenes schaffen, etwa die bereits früher von der ART-DEPESCHE interviewten Malerinnen Trần Thùy Linh oder Nguyễn Thị Mai (Wiederveröffentlichung vorgesehen).

 

Insgesamt sollte kein Kunstfreund, den es nach Vietnam verschlägt, den Besuch verpassen. Vor allem die Abteilungen für alte Kunst und die frühmoderne Malerei bieten faszinierende Einblicke. Daß der sozialistische Realismus prominent vertreten ist, ist nachvollziehbar, allerdings ist der Anteil doch sehr hoch, gerade, wenn man sieht, was für wunderbare Bilder die frühmodernen Maler geschaffen haben – von diesen hätte es ruhig mehr sein dürfen.

 

Das Nationalmuseum der Schönen Künste Vietnams befindet sich in 6 Nguyễn Thái Học, Stadtteil Ba Đình, Hà Nội, Việt Nam. Der Eintritt kostet regulär 40.000 VND, das sind etwa 1,50 €. Geöffnet hat das Haus täglich von 8.30 bis 17.00 Uhr.

 

Verweise:

https://vnfam.vn/en/artifact/5af4ffa0384627001c4760f7

https://vnfam.vn/en/collections/5ab4a9f3833508001d4c5be7?p=1

https://vnfam.vn/en/

https://vnfam.vn/vi/

https://nguyenthimai.com/

https://www.vietnamonline.com/attraction/vietnam-fine-arts-museum.html

https://orkidarts.com/artists/22/tran-thuy-linh?lang=vi

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