Anastasia Velikanova „Teich“ (Farben und Pastelle auf Papier, 2015) – Copyright Anastasia Velikanova
Anastasia Velikanova „Teich“ (Farben und Pastelle auf Papier, 2015) – Copyright Anastasia Velikanova


Ruedi Strese führte das Interview für ART Depesche


In Osteuropa gibt es künstlerisch viel zu entdecken. Alle paar Schritte stößt der Kunstinteressierte auf in ihrer Heimat angesehene Größen, die hierzulande wenig Beachtung finden. Gleichzeitig gibt es einen blühenden Untergrund mit zahlreichen interessanten Protagonisten. Die Grenzen zwischen traditioneller und moderner Kunst sind viel schwächer gezogen als im westlichen Europa, was bisweilen zu bemerkenswerten Ergebnissen führt. Eine vielversprechende junge Malerin und Designerin zwischen heimatlicher Verwurzelung und mondänem Experimentiersinn ist Anastasia Velikanova.

 

ART DEPESCHE: Frau Velikanova, Sie wurden in Palech geboren, welches für seine Ikonenmalereien und Miniaturen bekannt ist. Ist es üblich, daß junge Leute aus Palech diese traditionelle Malweise lernen?

 

Anastasia Velikanova: Ja, in Palech gibt es etwa 600–1.000 Maler dieses Stils. Viele Dynastien, und die Kinder sehen es von klein auf. Also können wir sagen, dies ist üblich.

 

ART DEPESCHE: Sie arbeiten in sehr verschiedenen Stilen. Einige der Arbeiten, die ich sah, waren Palech-typische Volkskunst, andere graphische Arbeiten, doch klar von Palech beeinflußt, dann gibt es Graphiken im Comic-Stil. Die letzten Arbeiten waren jedoch sehr eigenständige Gemälde.

 

Anastasia Velikanova: Natürlich, wäre ich in Palech geblieben, hätte ich mehr im traditionellen Stil gearbeitet. Ich ging jedoch nach Sankt Petersburg, und das Leben änderte sich. Ich war an der Gegenwart, an digitaler Kunst und Design sehr interessiert. Ich wollte etwas Neues lernen. Ich denke, die Schulausbildung war sehr hart, deshalb hatte ich für eine ganze Zeit keinen Pinsel in die Hand genommen.

 

ART DEPESCHE: Erzählen Sie uns etwas über diese Gemälde, welche auf Ihrer Künstlerseite zu betrachten sind. Welche Techniken nutzen Sie dafür?

 

Anastasia Velikanova: Meine letzten Arbeiten wurden ziellos geboren, spontan. Es war sehr interessant, diese Technik zu nutzen. Ich hatte in einer Ausstellung gearbeitet, wo wir eine Kunstwerkstatt hatten und dort gab es verschiedene Farben und künstlerische Materialien. So hatte ich beschlossen, für mich neue Techniken auszuprobieren. Ich würde sie eher als Graphiken denn als Gemälde betrachten. Es sind Farben auf Papier plus Pastelle und schwarzem Füller oder Markierstift. Ich gebe Farben auf ein Stück Papier und drucke diese auf Leinwand oder ein anderes Stück Papier, und es entstehen interessante Effekte. Surreale Bäume, Wälder, Bilder.

 

ART DEPESCHE: Diese Bilder wirken sehr spontan und organisch, auf dem Zufall basierend, wozu weitere Elemente hinzugefügt werden ...

 

Anastasia Velikanova: Beim Prozeß, Kunst zu schaffen, sieht man plötzlich neue Bilder. Arbeiten, die aus der Handlung entstehen. Vielleicht ist dieses Prinzip dem Surrealen etwas nah. Zuerst habe ich also weißes Papier, darauf drucke ich schwarze Farbe. Ich klebe ein Papier mit Farbe auf meine weiße Papierleinwand. Dann füge ich ein, zwei weitere helle Farben hinzu und warte dann, bis alles getrocknet ist. Anschließend füge ich mit Pastellen, Markierstift und natürlich Pinseln weitere Einzelheiten, Figuren und Effekte hinzu. Es sind Bilder über meinen Seelenzustand, meine Stimmung. Vielleicht etwas melancholisch und mystisch, jedenfalls sehr persönlich.

 

ART DEPESCHE: Konnten Sie Ihre Bilder bereits in einer Galerie präsentieren?

 

Anastasia Velikanova: Ich hätte nicht gedacht, daß diese Arbeiten so hübsch werden. Aber ich merke, daß einige Menschen sie sehr mögen. So entstand erst das Ziel, meine Bilder in einer Galerie oder vielleicht einem Kunstcafé vorzustellen. Ich denke, ich habe einen kleinen Ort im künstlerischen Untergrund dafür gefunden und hoffe, die erste Ausstellung wird im September sein, ich werde sehen ... Gegenwärtig ist die wichtigste Sache für mich, meinen Kunstwerken einen guten Rahmen zu geben. Ich muß einige Rahmen mit Glas kaufen. Ganz einfach, aber ich möchte es in einer interessanten Weise dekorieren, die zu meiner Kunst paßt. Mit all diesen Dingen hat das Leben einen neuen Geschmack für mich.

 

ART DEPESCHE: Welches sind die historischen und gegenwärtigen Künstler, die Sie am meisten verehren?

 

Anastasia Velikanova: Ich bin wirklich ein großer Verehrer von Paul Klee. Ich weiß nicht einmal, warum, es muß etwas tief in mir sein ... Ich bin ja auch Kunsthistorikern, ich weiß wirklich nicht, wie ich wirklich konkrete Künstler wählen sollte. Aber ich könnte sagen, daß ich alle Modernisten der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts mag, ihre Avantgardisten, Surrealisten usw. Ich mag in der Kunst hohen Geschmack und das große Spiel, das Mysteriöse und Ungewöhnliche. Mit innerer Energie. Ich mag aber auch klare Linien und klassische Formen. Ich finde Schönheit in allen Stilen und Epochen. Vor nicht langer Zeit sah ich im Netz die Arbeiten von Anselm Kiefer, und war höchst beeindruckt (wenn wir von zeitgenössischen Künstlern sprechen). Ich schätze ganz verschiedene Ideen in der Kunst.

 

ART DEPESCHE: Auch wenn es für diese Seite lediglich ein Randthema ist, sollten wir erwähnen, daß Sie auch Musik kreieren. Erzählen Sie uns doch etwas von Ihren Projekten!

 

Anastasia Velikanova: Zur Musik ... ja, ich kann auch ohne Musik nicht leben! Ich habe immer davon geträumt, auf der Bühne zu singen, aber erst vor vier Jahren wurde das erstmals Wirklichkeit. Ich nahm Gesangsunterricht und begann, in der Synthie-Pop-Gruppe Deimos Mode zu singen ... unserer hochkünstlerischen Wave-Gruppe ... wir haben an verschiedenen Festivals in Sankt Petersburg teilgenommen und sind an verschiedenen Orten aufgetreten. Wir arbeiten jetzt an unserem ersten professionellen Studioalbum, hoffentlich wird dies im Herbst geschafft sein. Zudem wurde ich vor drei Jahren Teil der experimentellen Musikszene des Untergrunds von Sankt Petersburg. Ich habe begonnen, mit der Art-Industrial-Band Cyclofillydea aufzutreten. Ich habe für diese vor allem Gedichte gelesen. Wir sind mit einer Performance 2012 nach Leipzig gegangen ... Diese Band ist in experimentellen Untergrundkreisen recht bekannt. Ich scheue mich nicht einmal davor, zu sagen, legendär. In der letzten Zeit habe ich mehr mit Deimos Mode gearbeitet, aber auch in experimentellen Projekten namens „The Stars That Hang Above You“ und „Holly Spinnery“, einen meiner Texte habe ich mit einem deutschen Folk-Projekt vertont.

 

ART DEPESCHE: Sie haben geschrieben, daß Sie besonders gerne graphische Arbeiten für Musikprojekte übernehmen. Also sollten interessierte Musiker sich an Sie wenden?

 

Anastasia Velikanova: Ich habe unter anderem ein Cover für eine in Leipzig beheimatete Black Metal-Band entworfen ... und es war eine interessante Arbeit! Danach habe ich das Albumcover für das erwähnte Projekt mit meiner Beteiligung, „The Stars That Hang Above You“ gestaltet, auch ein Cover für eine gut bekannte russische Band der experimentellen Musik namens „Six Dead Bulgarians“. Derzeit arbeite ich an Covern für den chilenischen Sänger Alejandro Rex und das neue Album meiner Band Deimos Mode (Anm d. R.: heute „Deimos Moon“).

 

ART DEPESCHE: Letzte Worte?

 

Anastasia Velikanova: Das war es in Kürze über mich und meine Kunst. Ich sollte vielleicht produktiver sein und nicht immer nur warten, bis mich die Inspiration überfällt ... ich hoffe, die Zukunft wird viel Interessantes bringen. Schaut Euch einfach meine Arbeiten auf meiner Facebook-Seite an (VeNa Art & Design).

 

ART DEPESCHE: Herzlichen Dank, Frau Velikanova!

 

 

zur Person:

Anastasia Velikanova wurde 1986 in Palech, einem bedeutendem Zentrum der traditionellen russischen Ikonenmalerei und Lackminiaturenherstellung, geboren. Ihre Eltern waren bereits in diesem Kunstzweig tätig. Sie lernte an der Kunstschule in Palech und anschließend an der dortigen Kunstoberschule, wo sie 2005 ihr Abitur machte. Danach ging sie nach St. Petersburg und studierte bis 2010 russische Kunstgeschichte an der Staatlichen Russischen Kunstakademie. In Folge erwarb sie im Selbststudium Kenntnisse in digitaler Kunst und Design und arbeitete zwei Jahre in einem Studio für Animationsfilme. Sie ist derzeit in Sankt Petersburg als Graphikdesignerin, Malerin und Musikerin tätig.

 

 

 

 

Verweise:

https://www.facebook.com/venart86?fref=ts

https://vk.com/untitled_stars

https://gv-sound.bandcamp.com/album/insomnia

http://www.russia-ic.com/culture_art/visual_arts/951/#.Va-qS62I7fU

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