Als eines der ersten Interviews der ART-DEPESCHE erschien 2015 unter dem Titel „Der Schöpfer, die Schönheit und das Unterbewußte“ ein Interview mit dem grandiosen ukrainisch-russischen Landschaftsmaler Konstantin Golowin (englische Umschrift: Golovin). Wie wir erst kürzlich erfuhren, ist Golowin im Jahr 2020 verstorben. Zur Erinnerung an einen wunderbaren Künstler veröffentlichen wir das Gespräch erneut, nur leicht redigiert und mit aktualisierten Verweisen.
Mit seinen seelenvollen, atmosphärischen Schöpfungen gehörte Golowin zu den festen Größen der Kunstwelt Osteuropas. Hierzulande war er allerdings fast unbekannt. Ruedi Strese von der ART-DEPESCHE hatte dem Meister einige Fragen gestellt und Antworten eines ausgesprochen schönen Geistes erhalten.
ART-DEPESCHE: Herr Golowin, der Schwerpunkt Ihrer Arbeit liegt bei Landschaftsbildern in „Öl auf Leinwand“, wenn ich richtig liege. Welche anderen Themen und Techniken nutzen Sie?
GOLOWIN: Ich schaffe nicht nur Landschaftsbilder in „Öl auf Leinwand“. Das ist nur ein Teil meiner Kreativität. Ich arbeite an figurativer Malerei und male ebenfalls gerne Stilleben und vieles mehr.
ART-DEPESCHE: Welches ist Ihre Standardprozedur bei der Landschaftsmalerei? Pleinair? Oder fertigen Sie draußen Skizzen, welche Grundlage der Arbeit im Atelier sind, oder ...?
Golowin: Ich habe eine Menge Erfahrungen mit der Freilichtmalerei, aber mittlerweile sind meine Landschaftsgemälde reine Phantasieprodukte.
ART-DEPESCHE: Ihre Bilder zeigen selten starke Farben, oft scheint es, als würde man durch einen Schleier oder durch Nebel schauen, was den Bildern eine ganze Menge mystischer oder magischer Atmosphäre gibt ...
Golowin: Ich liebe den Nebel in der Natur, er verbirgt eine Menge unnötiger Einzelheiten und schafft eine mystische und magische Atmosphäre. Der potentielle Betrachter kann die fehlenden Details selbst ergänzen, ich möchte ihn dabei nicht stören.
ART-DEPESCHE: Was den Stil angeht, hatte ich den Gedanken, Ihre Arbeiten könnten als „basierend auf der Nationalromantik und durch die impressionistische Erfahrung des Spiels mit Licht und Schatten gegangen“ bezeichnet werden ...
Golowin: Vielleicht stimmt das. Die Bezeichnung „Nationalromantik“ paßt gut.
ART-DEPESCHE: Es scheint, die östliche Landschaftsmalerei sei einen anderen Weg gegangen als jene des Westens. Sie hat dort eine wesentlich höhere Stellung in der Kunst der Gegenwart, wohingegen sie hierzulande eher in Nischen existiert, die von der Mainstream-Kunstszene weitgehend ignoriert werden.
Golowin: Die östliche Landschaftsmalerei hat sich tatsächlich anders als jene im Westen entwickelt. Es gibt den Begriff des „sowjetischen Impressionismus“. Die Künstler im Osten verstehen den Impressionismus auf eigene Weise, ohne zu kopieren oder zu imitieren. Deshalb haben ihre Arbeiten in der Gegenwartskunst einen hohen Rang, vielleicht verdienen sie ein gründlicheres Studium durch Kunstforscher.
ART-DEPESCHE: Als Mensch aus dem Westen bekomme ich den grundsätzlichen Eindruck, daß Schönheit als solche in den Künsten der Ukraine oder Rußlands weit höher geschätzt wird als in der westlichen Kunst. Würden Sie zustimmen? Woran könnte das liegen?
Golowin: Ich stimme zu, in der Ukraine und Rußland sind alle Arten der Künste auf Schönheit gebaut, auf Güte, Spiritualität und Erhabenheit. Das gilt für Literatur, Theater, Kino und bildende Künste. Ich denke, der Grund dafür ist eine Erziehung, die auf traditionellen, klassischen Idealen beruht. Einige westliche Künstler begründen ihre Kunst auf Gefühle wie Angst, Ekel, Verwirrung, dem Bruch mit Stereotypen. Sie spielen mit negativen Gefühlen und erreichen manchmal ihr Ziel. Die Suche nach ultraneuen Werkzeugen und Kreativität führt die Künstler auf diesen Weg. Heraus kommen das Protest-Bild, das Satire-Bild, das Anklage-Bild, das Manifest-Bild.
ART-DEPESCHE: Wenn ich die Atmosphäre Ihrer Bilder einatme, bekomme ich das Gefühl, Sie müssen eine religiöse oder spirituelle Person sein ... liege ich richtig? Wenn ja, inwiefern beeinflußt das Ihre Arbeit? Ist die Natur für Gott, was das Gemälde für den Maler ist?
Golowin: Die ganze Welt ist die Schöpfung des Schöpfers. Es ist alles logisch, schön und harmonisch. Nur etwas, das wir die Seele nennen, kann es erfühlen und verstehen. Das ist, warum ich dem Unterbewußten vertraue, es bringt den Arbeitsprozeß voran, das Bild ist nicht nur eine Skizze der Natur. Ich schaffe ein Bild aus unterbewußten Erinnerungen. Es gibt eine Ähnlichkeit zu Gottes Schöpfung, und bleibt beim Künstler.
ART-DEPESCHE: Gibt es so etwas wie eine Seelenverbindung zwischen Künstler und Natur? Inwieweit beeinflussen die Natur als Subjekt, inwieweit Ihre Seele als Künstler oder andere Aspekte das Ergebnis?
Golowin: Die Seele und Natur, die im Unterbewußtsein gespiegelt wurden, verschmelzen beim schöpferischen Prozeß, deshalb können wir nicht sagen, in welchen Verhältnissen sie verbunden sind. Zudem hängt das Ergebnis vom Gesamtverständnis des Problems ab, von individuellen Fertigkeiten und der Beherrschung der Sprache der Malerei.
ART-DEPESCHE: Vielen Dank, Herr Golowin!
Zur Person:
Konstantin Golowin wurde 1954 in Selenokumsk in der russischen Region Stawropol im Nordkaukasus geboren. Mal- und Zeichenunterricht erhielt er schon in frühen Jahren in der Familie, vor allem durch seinen Vater. 1977 schloß er sein Studium am Staatlichen Pädagogischen Herzen Institut von Leningrad in der Abteilung für Graphik ab. Anschließend lernte er in den Ateliers verschiedener in der Sowjetunion angesehener Maler. 1986 schloß er sich der Vereinigung von Künstlern der UdSSR an und nahm an zahlreichen Ausstellungen teil.
Er ist Vorstandsmitglied der Nikolajewer Organisation der Nationalen Union der Künstler der Ukraine und gewann zwei Architekturwettbewerbe für das beste Design für die Tempel-Kapelle von St. Nikolaus und den Tempel von St. Simon in der Stadt Nikolajew. 2008 wurde er in die „Enzyklopädie der Modernen Ukraine“ aufgenommen. Viele seiner Arbeiten wurden vom Ukrainischen Kulturministerium für nationale Museen erstanden. 2012 wurde ihm durch ein Dekret des ukrainischen Präsidenten für seinen bedeutenden persönlichen Beitrag zur Entwicklung nationaler Kultur, langfristige kreative Tätigkeit und hochprofessionelle Ausführung der Titel „Verdienter Künstler der Ukraine“ verliehen. Golowins Bilder befinden sich in Privatsammlungen in China, der Ukraine, Rußland, Israel, den USA, Frankreich und Deutschland. Er starb im Jahr 2020.
Verweise:
https://konstantingolovin.ru/biography
https://konstantingolovin.ru/archive
https://www.magcloud.com/browse/magazine/529807
https://www.saatchiart.com/konstantingolovin