Halberstadt – Das Gleimhaus in Halberstadt, welches um den Nachlaß des Dichters, Kunst- und Künstlerfreundes der Aufklärung, Johann Wilhelm Ludwig Gleim, entstand, ist eines der frühesten und gediegensten Museen zur Geschichte der deutschen Literatur. Für die ART-DEPESCHE ist es jedoch vor allem deshalb interessant, weil Gleim eine umfassende Gemäldesammlung besaß, wobei insbesondere die im „Freundschaftstempel“ versammelten Porträts seiner zahlreichen prominenten Freunde und Bekannten unsere Aufmerksamkeit verdienen.
Gleim (1719–1803) ist der Gegenwart weniger durch seine Dichtung bekannt, als vielmehr als Freund und Briefkontakt großer Köpfe seiner Zeit. Sein ehemaliges Wohnhaus in Halberstadt, ein Fachwerkhaus unweit des Doms, wurde 1862 bereits zum Museum; 1994 wurde dieses um einen Neubau mit Lesesaal, Bibliothek und Vortragsraum erweitert.
Kern der Bestände ist der Gleimsche Nachlaß; weitere Nachlässe oder Teile solcher, nicht zuletzt von regionalen Künstlern des 19. und 20. Jahrhunderts, wie Walter Gemm oder Otto Illies, kamen dazu. Diese werden in wechselnder Auswahl in der „Galerie von Künstlern der Region“ ausgestellt.
Derzeit und noch bis zum 3. September 2023 sind in diesem Rahmen unter dem Titel „Häuser und Menschen“ in den 1970er Jahren entstandene Zeichnungen der Halberstädter Altstadt des Architekten Erhard Wolff zu sehen. Möglich, daß wir uns diesen in den nächsten Tagen noch in einem eigenen Artikel widmen ...
Das Museum selbst geht über zwei Stockwerke. Im Erdgeschoß wird in drei Räumen über Gleims Leben und familiären Hintergrund, seine Arbeit als Domsekretär, seine Ideen und Kontakte und sein Verhältnis zu Preußen und dessen Herrschergeschlecht sowie auf die Aufklärung allgemein eingegangen.
Hier sind bereits einige Gemälde zu sehen, darunter ein Porträt des preußischen Kronprinzen Friedrich Wilhelm II., gemalt von der in den letzten Jahren zu vermehrter Beachtung gekommenen Anna Dorothea Therbusch, sowie ein Bild eines Beisammenseins um Gleim, vermutlich von Karl Christian Kehrer.
(Der Vollständigkeit halber erwähnt sein an dieser Stelle auch der „Kinderraum“, welcher mit Kostümen im Stil der Zeit Gleims und Steckenpferden Kinder und Kindgebliebene zu allerlei Schabernack animieren mag.)
Dann geht es die Treppe hoch zum „Freundschaftstempel“; dieser geht über zwei Räume und ist nun, wie uns das Museum wissen läßt, „die größte erhaltene Porträtgemäldegalerie von Dichtern und Gelehrten des 18. Jahrhunderts“.
Im Vordergrund stand für Gleim selbst nicht der künstlerische Wert, sondern das Andenken an die Weggefährten, weshalb es keine Schande ist, daß die künstlerische Qualität der Gemälde recht unterschiedlich ist und sich neben bekannten völlig vergessene Künstler finden, bei einigen Bildern der Urheber sogar nicht mehr zu ermitteln ist. Die meisten stammen wohl aus Gleims Sammlung selbst, andere sind später hinzugekommen.
Es seien nur wenige Beispiele genannt: Von Anton Graff, dem bedeutendsten deutschen Porträtkünstler seiner Zeit, gibt es ein Selbstbildnis sowie eines des Philosophen und Dichters Johann Gottfried Herder, der Däne Jens Juel malte Friedrich Gottlieb Klopstock, den Dichter des „Messias“, heute vielen vor allem durch seine Erwähnung in Goethes „Die Leiden des jungen Werther“ ein Begriff.
Karl Christian Kehrer hielt Gleims Verehrerin und Brieffreundin (sie richtete wohl über 1.000 Briefe an ihn) Anna Louisa Karsch im Bildnis fest, Johann Friedrich August (aus der großen Malerfamilie) Tischbein malte unter anderem den Architekten Friedrich Wilhelm von Erdmannsdorff, der Schweizer Porträtist Heinrich Pfenniger hielt Jean Paul für die Nachwelt fest.
Gottfried Hempel malte den Militär und Dichter Ewald Christian von Kleist, der Landschaftsmaler Pascha Johann Friedrich Weitsch verewigte nicht nur als einer der ersten den Harz in Gemälden, sondern auch sich selbst. Man könnte hier eine Weile fortfahren, doch dürfte einigermaßen klar geworden sein, was den Besucher erwartet.
Es handelt sich somit um ein kleines, aber feines Museum, welches für Literatur- und Kunstliebhaber gleichermaßen interessant sein dürfte. Oder für Menschen, die einem weitgehend in Vergessenheit geratenen Ideal von umfassender Bildung anhängen ...
Das Gleimhaus befindet sich am Domplatz 31 in 38820 Halberstadt. Geöffnet hat es von Dienstag bis Sonntag und an Feiertagen (mit Ausnahme des 24., 25. und 31. Dezember und 1. Januar) von 10 bis 16 Uhr (November bis April) bzw. 10 bis 17 Uhr (Mai bis Oktober). Der Eintritt kostet regulär 7,– Euro, es gibt verschiedene Ermäßigungen.
Verweise:
https://www.gleimhaus.de/startseite.html
https://www.monumente-online.de/de/ausgaben/2006/5/ein-abbild-fuer-das-zwiegespraech.php
https://art-depesche.info/das-harzmuseum-in-wernigerode-und-die-regionale-malkunst